Judith Siegmund :: Visual Art, Conceptual Art, Philosophy

Gespräche im Stahlhaus


(Bauhaus Dessau) 1995


Der Künstler, die Künstlerin kann in der gegebenen Situation sich nicht mehr beschränken, mehr oder minder ausgefeilten 'dekorativen Intellektualismus' (Wolfgang Max Faust) zu produzieren, sondern muss auf eine konkrete Situation mit konkreten Mitteln ästhetisch reagieren. Die Sprech-Stunde 'Soziales Geräusch' von Judith Siegmund ist für dieses kritische und selbstkritische Vorgehen ein hervorragender Beleg. Erst in dieser Grenzaufhebung kann der Künstler, die Künstlerin wieder das künstlerische Werk an die Gesellschaft zurückbinden.

Thomas Wulffen
Aus: "Grenzaufhebung" in "Gespräche im Stahlhaus", 1996

 

 


(Ausschnitte)

– Das Problem der Plattenbauten ist dann weniger das serielle Herstellen, sondern die mangelhafte Ausführung. Das unterscheidet sich dann ganz grundlegend vom Bauhaus. Das Bauhaus hat immer Wert auf glückliche, materialgerechte Handhabung gelegt.

– Das wurde gerade vorhin gesagt von einem Siedlungsbewohner. Die sind ja mangelhaft gebaut hier. Die haben also hinterher noch Wände hochziehen müssen, weil es nicht richtig isoliert war.

– Ja aber das sind Kinderkrankheiten, weil das Versuchssiedlungen waren. Die erste Siedlung Törten von Gropius hatte sehr viele Mängel. Sie haben dann zwei, drei, vier verschiedene Bauabschnitte gemacht und irgendwann das alles ausgebügelt. Aber das ist klar, so eine Art von Siedlungswohnungsbau gab's wenige davor. Parallel gab's eine ganze Menge gleichzeitig, z.B. in Frankfurt und Berlin, was Taut gebaut hat oder...

– Bei der Bauhaussiedlung, da sieht man das ja, dass die Häuser nur deswegen erschwinglich waren, weil eben durchaus auf Qualität Wert gelegt worden ist, und die rechnet sich dann eben nur wenn die Masse auch da ist. Dadurch führt es dann auch zu dieser Konfektionierung, dass Du eben wirklich überall nur den Standard bauen kannst. Was an sich erst mal nicht schlecht ist.

– Wir sind ja gar nicht so gegen die Konfektionierung. Die Leute akzeptieren ja, dass 500.000 Leute den gleichen Volkswagen kaufen. Da hat niemand was dagegen. Oder dass 500.000 Leute den gleichen Ford Escort kaufen. Oder Daimler Benz E-Klasse, das kaufen auch 80.000 Leute.

– Aber Du hast Alpha Romeo gekauft, weil Du dich davon absetzen wolltest.

– Da setzt man sich davon ab.

– Weil Du nämlich zu der Klasse derjenigen gehörst, zu den 30.000 Leuten, die diese Auto fahren.

– Da wird's auch sehr ideologisch auf der Ebene.

– Deswegen habe ich mir einen Trabbi gekauft, um mich abzusetzen.

– Trotzdem, gegen diesen Kontext, Befriedigung von Massenbedürfnissen, das war ja ein zentraler Punkt von denen, dass die gesagt haben, es gibt gleichartige Massenbedürfnisse, die auch gleichartig befriedigt werden können. Da ist auch was dran in vielen Punkten. Der Punkt, der die Leute unzufrieden macht ist, dass sie nicht mehr eine persönliche Duftnote an ihre Wohnung anbringen können.

– Machen sie dann doch.

– Du hast hier zwei Wände, die kannst Du voll als Bücherwände nutzen. Das hast Du in keinem Mies-Haus. Ha, und hier drüben hast Du auch noch viel Platz. Und dann stellst Du noch einen Schreibtisch auf und ein Bett, un das war's.

– Für eine ganz bestimmte Art von Leuten, die in einer ganz bestimmten Art und Weise leben ist das geeignet. Es passt nicht ein Plüschsofa und ein Teppich.

– Ein Büffet und so was, das geht nicht.

– Ja stell dir doch mal vor, Du hättest hier ein kaiserliches Möbel, Louis 14. Ja, kannst Du doch grad ausziehen, nicht?

– Zwei Sesselchen könntest Du aufstellen und einen Sekretär. Das ist egal.

– Guten Tag!

– Guten Tag, wie ist das hier gemeint, kann man das lesen?

– Ja, von draußen.

– Und was steht da drauf?

– Gehen Sie doch lesen!

– Oder machen Sie Kassiererin?

– Ne, ne Kassiererin nicht. Kann ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?

– Nein danke, danke, danke, ich komme von zu Hause.

– Sekt? Wir stoßen gerade an...

– Nein machen Sie sich keine Arbeit.

– Ich nehme lieber einen Kaffee.

– Die Isolation an dem Haus ist nicht ausreichend.

– Also das ist von oben eine Isolation, was sie nun von drinne' angebracht haben, das werden auch die Fenster sein, die Wärme aufnehmen. Wenn wir nicht unsere Häuser so verrammeln würden, wenn die Sonne scheint ist es bei uns wie in einer Festung.

– Und auch durch die Bäume die den Schatten spenden.

– Na Gott sei Dank, dass wir die Bäume haben.

– Ja, ich bin auf der Spur, den Zeitgeist zu finden, nicht? Den Zeitgeist, den wir heute haben. Das liegt ja nun in Ihrer Richtung hier. Ich meine der dreißigjährige Krieg, der war ne Klopperei, das muss man doch feststellen. Und momentan ist ein Aufbruch, nun frage ich mich, man kann ja nicht einfach sagen humanitäre demokratische Bewegung bei diesen Kriegsgeschehen, ist ja lächerlich ja. Was ist nun der Zeitgeist, welcher in einer Epoche wirklich zum Tragen kommt? Man könnte so sagen chaotisch, Chaos. Wissen Sie, diese Unordnung, das war eine Entwicklung nach einer Revolution, dass es erst mal etwas chaotisch ging, wenn es sich nachher wieder ordnete. Aber nun sagen Sie mal, das ist doch nicht ausreichend, da muss doch ein irgendein Ziel anzuordnen sein. Denn die Marktwirtschaft, das ist eine Übergangszeit, das ist kein Dauerzustand. Das war vor 60 Jahren was ganz modernes und klingt jetzt ab als Modernes. Die Japaner finden schon andere Wirtschaftsformen, und das ist offensichtlich auch eine Ideologie und Zeitgeist. Nun such ich die Philosophen, die man ein bisschen vorweg schauen. Die nicht hinterher diskutieren, was falsch war, sondern wo müsste es hingehen?

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– ....und das sind Dinge, und die in Beziehungen zueinander bringen. Das wäre ein Hinweis, dass man mal nachdenkt, wie überhaupt die Lebensbeziehungen untereinander verbessert werden können. Bei manchen sind se vielleicht ideal, sagen se einfach: Ja, gefällt mir, genauso wie ich lebe, nicht? Das ist möglich. Es wird aber keiner sagen dürfen: Das ist ja Quatsch. Das kann ich mir nun nicht vorstellen. Das nicht. Aber er könnte sagen, ich kann damit nichts anfangen. Warum sind das bloß Wörter und warum sind das keine vollständigen Sätze? Nun ist das ja unter Jugendlichen heute in, dass man gar nicht mehr vollständige Sätze spricht. Das ist doch typisch amerikanisch. Als ein Neffe von mir mit seiner Verlobten bei uns zu Besuch war, da erzähl ich ihm allerhand, und sie fragt ihn und da bringt der zwei Wörter, und schon wusste sie Bescheid. Das man sich so kurz ausdrücken kann?

– Obwohl es eher Denkanstöße sein sollen, weil ich kein konkretes Gegenüber habe, mit dem ich diese Geheimsprache sprechen könnte. In dem Moment in dem ich das gemacht habe, wusste ich ja nicht, wer es einmal lesen wird. Für mich haben die Worte Radio Silo u.s.w. mit diesem Fortschrittsgedanken, der auch am Bauhaus vertreten war zu tun.

– Radio nicht in Form von Senden? Man kann das ja unterstellen wie man will. Da bin ich mal den Gymnasiasten entgegengegangen in der Peterekstrasse. Und da kam mir meine Enkelin entgegen mit der Hortgruppe. Da hat keiner einen vollständigen Satz gesprochen. Halb englisch halb deutsch da. Und so, in dieser kurzen Form unterhält man sich, so dass ich entnehme, dass es momentan in ist, nicht mehr langweilige vollständige Sätze zu bringen sondern eine Art Kurzschrift in Ton zu bringen. Das hatte ich an sich sowieso gedacht, dass das kommt. Bei dieser Fülle von Informationen werden wir kaum noch Zeit haben, vollständig Sätze formulieren zu können. Sondern hier geht es über Bildsprache wahrscheinlich. Dass wir in Form von Bildern und ganz bestimmten Zeichen ganz bestimmte Gefühle und Sachverhalte ausdrücken. Sonst können wir das überhaupt nicht mehr bewältigen. Wir können ja nicht die zehnjährige Schulpflicht auf 40 Jahre verlängern. In dieser Hinsicht sehe ich hier so einen Vorreiter mit, das ist noch nicht ausgereift, das ist ein Vorstoß, wie es bei Bauhäuslern ist. Nicht, etwas neues hineinbringen, das wird zerfledert wie beim Raubtier, das kriegt einen Batzen Fleisch hin, den zerreißt es nach allen Variationen.

– Der Betrachter bekommt nicht mundfertig die Konservendose geliefert. Er soll sich beteiligen.

– Und dann den Nutzen daraus ziehen. Besonders schön finde ich den Einfall mit diesen Bändern, dass man da so in den Wirrwarr hineingeht, dann kommt man sich ein bisschen gefesselt vor. Man sieht nachher diese Aufforderungen. So dass man sich auch ein bisschen befreien kann. Man ist nicht direkt gebunden, aber man kommt sich irgendwie, vielleicht nicht gefangen, aber doch umschlossen vor. Jemand der unter Platzangst leidet, der könnte vielleicht Beklemmungen bekommen. Das wäre natürlich ein Antippen, das ist gleichzusetzen mit: hallo hier, ich hab Dir was zu sagen.

– Das eine Dia in dem Raum hinten zeigt eine Arbeit eines Bauhausschülers von 1930. Die heißt Vereinsamung.

– Wenn Sie das auf die Siedlung beziehen, dann trifft das eigentlich nicht zu.