Judith Siegmund :: Visual Art, Conceptual Art, Philosophy

Auslagern oder Wo baut man ein Gefängnis?



Die Berliner Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt! Diese Nachricht war die erste, die mich erreichte, als ich anfing über den geplanten Neubau der Justizvollzugsanstalt Heidering vor den Toren Berlins zu recherchieren.

Die "Vorbereitungen für Bau der Justizvollzugsanstalt Heidering beginnen - Baubeginn für die JVA Heidering im Mai 2009: Die geplante Haftanstalt sieht Haftplätze für 648 männliche Strafgefangene im geschlossenen Vollzug vor. Sie werden von ca. 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut werden. Für die Gefangenen sollen über 400 Arbeitsplätze bereitgestellt werden, um die Chancen für eine gelungene Integration nach der Haftentlassung zu erhöhen."[1]

Großbeeren liegt vor der Stadtgrenze Berlins im Land Brandenburg. Ein Grund, warum die Gemeinde Berlin in der Nähe Großbeerens ein Gefängnis baut, ist, dass Berlin seitdem es 1881 die Rieselfelder Großbeeren erwarb, hier Land besitzt. Die Rieselfelder waren die Kloake Berlins. Hier wurden Berliner Abwässer nach einer Reinigung durch Versickerung auf Gemüsefeldern verrieselt. Das Gemüse wurde wieder in die Stadt gebracht. Heute gibt es auf dem Gelände der Rieselfelder eine wilde Landschaft, die Böden sind durch den langjährigen Anbau ausgelaugt, Schwermetalle haben sich auf den meisten alten Rieselfeldern abgelagert. Eine spezielle Romantik der Brache ist entstanden. Hier wird also gebaut.

Aber nicht erst die Rieselfelder brachten den kleinen Ort Großbeeren in seine Vorortlage vor Berlin. Der Ort erinnert sich gerne an die Schlacht von 1813. Damals wurden hier die französischen napoleonischen Truppen von den Preußen geschlagen und so deren Vordringen nach Berlin verhindert. Jährlich im August stellen einige der Großbeerener die Schlacht auf ihren Feldern in historischen Kostümen nach. Ein Gedenkturm erinnert an die Schlacht. Er steht mitten auf einer Kreuzung des entlang der Straße angeordneten Ortes und beherbergt ein kleines Museum. Außerdem gibt es einen Obelisken, der an die Schlacht von 1813 erinnert und eine kleine Pyramide zu Ehren des Generals von Bühlow. Warum erinnern sich die Großbeerener so gern an das Blutbad? Da "das Pulver nass war" haben sich "die Menschen mit den Gewehrkolben erschlagen". Ein ehemaliger NVA-Offizier, der selbst gern am festlichen Jubiläumstag in die Uniform des Generals von Bülow schlüpft, eröffnete gar ein Privatmuseum "Preußische Traditionen", in dem er den Bogen von der Preußischen Geschichte bis hin zur Militärgeschichte der DDR schlägt in den Räumen des "Traditionshotels Großbeeren 1813".[2]

Im Industriegebiet Großbeeren stehen leere Übersee-Container, solche, wie in Häfen auf Schiffe verladen werden, sie sind von einer Firma in Berlinnähe gelagert – „schnell wieder für den Transport bereit“. Die Container kommen von überall her und gehen wieder in die ganze Welt.

Das Gelände der Schlacht, die Rieselfelder, abgestellte Überseecontainer und nun eine Baustelle: Die Justizvollzugsanstalt wird gebaut, weil die Berliner Gefängnisse überfüllt sind. Mit dem Gefängnis wollen sich die Großbeerener (die übrigens auch stolz auf ihre infrastrukturelle Lage an der Bundesstraße 101 und der Autobahn verweisen[3]) nicht identifizieren, denn das Wort Großbeeren durfte nicht im Namen der Justizvollzugsanstalt auftauchen. Auch findet man ganz offiziell bisher keinen Hinweis auf das Gelände der große Baustelle, auf dem bereits die ersten Arbeiten begonnen haben. Der Name der Justizvollzugsanstalt ist vielmehr JVA Heidering.

Bei einem Treffen mit der bauleitenden Architektin in Berlin erfahre ich, dass das Architekturbüro Hohensinn, das den Wettbewerb für den Neubau der JVA Heidering gewonnen hat, einen interessanten zeitgemäßen Begriff von Gefängnisarchitektur besitzt. Die menschliche Freiheit und Selbstbestimmung (so paradox es zuerst klingen mag) steht im Mittelpunkt des Konzepts für die JVA. Im Rahmen des Freiheitsentzugs soll die Architektur dabei helfen, zu gewährleisten, dass mit dem unabänderlichen Freiheitsentzug nicht grundsätzlich sämtliche Menschenrechte entzogen werden. „Im Mittelpunkt befindet sich immer der Mensch als Nutzer. Das ist bei einem Gefängnis nicht anders als bei einem Wohnhaus.“[4] Zum Beispiel sind die Möglichkeiten, in die Landschaft oder architektonische Anlage schauen zu können, wichtig oder die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, sich Essen oder Getränke in einer Gemeinschaftsküche zuzubereiten. Die Architektin erzählt mir von den Erfahrungen mit der Strafanstalt Leoben in Österreich, in dem Aggressionen und Gewalt im Verhältnis von Insassen und beschäftigten Mitarbeitern verschwanden, aufgrund der deeskalierenden Wirkung der Architektur – das klingt fast wie ein Märchen.

Ich hatte bisher nichts mit Gefängnissen zu tun, Knast sind für mich die anderen. Nun versuche ich mir in der Mondlandschaft der Baustelle zwischen den aufgeschichteten Erdhügeln vorzustellen, wie die Menschen hier später leben und arbeiten werden. Teilweise weht ein starker Wind, es wird also zugig werden im neuen Gefängnis. Unser Funkmikro versagt während der Dreharbeiten, das liegt an dem Funkturm, der unmittelbar hinter dem Gelände steht, genauso wie die Windkraftwerke, die einmal auf freiem Feld errichtet wurden. Züge, Güter- und Personenzüge fahren links und rechts des Geländes; auf der naheliegenden Straße kommen nicht nur Autos vorbei, auch sonntägliche Radfahrer und Hundebesitzer, die spazieren gehen, frequentieren den Rand der Baustelle. Ich frage mich, ob die aufgeschichtete Erde des ehemaligen Rieselfeldes mit Schwermetallen belastet ist und versuche mir vorzustellen, wie groß später eine Gefängniszelle sein wird. Während Kinder mit ihren ferngesteuerten Spielzeugautos die Landschaft der Baustelle als Gelände für die Elektroautos nutzen, tauchen plötzlich zwei schick gekleidete Fahrer mit ihren Quads zwischen den Erdhügeln auf. Alle haben Ideen, was sich mit den märkischen Sandhügeln anstellen lässt, niemand denkt an den Zweck der Baustelle – hier entsteht ein Gefängnis.

Judith Siegmund im Katalog zur Ausstellung "Knast sind immer die anderen&qu



[1] Pressemitteilung, Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Berlin, 02.02.2009.

[2] Hans W. Korfmann: Preußische Uniform, kalifornische Badehose, FAZ vom 10. 08. 2006.

[3] Siehe Website von Großbeeren: www.grossbeeren.de, 02. 05. 2009.

[4] Interview mit Josef Hohensinn: Ein Gefängnis mit Würde und Anstand, taz vom 13. 2. 2008.