(Plakataktion im 13. Arrondissement Paris) 1999
Der Potsdamer Platz, entstanden in der leeren Mitte Berlins und Paris Rive Gauche, das schicke Wohn- und Büroviertel rund um die neue Nationalbibliothek im Osten von Paris, was haben sie miteinander zu tun? Wenn ich mich als Beobachterin an diese beiden Orte begebe, so fallen mir als erstes ästhetische Kriterien wie Größe und Aufteilung der Gebäude, ihre Fassadengestaltung und die Gestaltung der Zwischenräume auf. Menschen, die sich in der Architektur bewegen, werden durch sie verändert. Eine Strategie ist es, sich Architektur wiederum selbst als Bildmaterial anzueignen und diese durch unterschiedliche Arbeit an dem Bildmaterial zu interpretieren. Trotz der geschichtlichen Differenzen zwischen dem autoritären Bauen von Monumenten seitens der französischen Regierungen und dem am amerikanischen Trio orientierten Baustil des Potsdamer Platzes (Business – Konsum – Freizeit) scheint es viele Parallelen auf ästhetischer Ebene zu geben. Diese sind zum Teil den riesigen Dimensionen der Baustellen geschuldet.
Vorangegangene Geschichte wurde an beiden Orten vollständig ausgelöscht: In Berlin die Geschichte des Potsdamer Platzes als belebteste Kreuzung Europas, als Grenze, die Geschichte der Mauer, des Brachlands in der geteilten Stadt. In Paris Rive Gauche der Vorortcharakter mit seinen spezifischen sozialen Strukturen: Obdachlosenunterkünfte der Heilsarmee, billige Appartements für Emigranten in den Gebäuden von Sonacotra, die kleinen Händler und Bewohner mit keinem sogenannten "normalen" Einkommen. Alle sie werden nicht Nutznießer des neuen Wohn- und Geschäftsviertels sein.
Der Begriff "absence" – sowohl englisch als auch französisch zu lesen – soll anspielen auf die Abwesenheit der Geschichte an beiden Orten. Inwieweit die Ästhetik der neuerrichteten Architektur mit dieser Abwesenheit von Geschichte zusammenhängt, das ist eine interessante Frage.
Judith Siegmund
